Wir sprechen mit Lernexpertin Birgit Friedl darüber, wie die herausfordernde Zeit für alle gut gestaltet werden kann.
Einblicke: Mit welchen Gefühlen und Erwartungen blicken Kinder Ihrer Erfahrung nach dem ersten Schultag entgegen?
Birgit Friedl: Kinder sind in dem Alter sehr neugierig und wissbegierig, sie freuen sich in der Regel sehr darauf, etwas zu lernen. Schon am Ende des Kindergartens sind sie stolz darauf, zu den „Großen“ zu zählen. Der erste Schultag wird daher mit Aufregung und Freude erwartet. Positiv und wichtig ist, dass sie in der Regel die Schule schon von einem Schnuppertag kennen und ihnen die Umgebung vertraut ist. Natürlich gibt es auch Kinder, die dem Tag mit gewissen Ängsten entgegen gehen – das sind meist Kinder, die sich generell mit Veränderungen schwertun.
Einblicke: Was können die Eltern hier positiv beitragen?
Birgit Friedl: Eltern haben, wie in allen Belangen, auch hier große Vorbildwirkung. Wie sie selbst zum Thema Schule und Bildung stehen, vermitteln sie auch den Kindern. Man sollte die neue Phase mit Freude begrüßen, sie als etwas Schönes und Spannendes zeigen. Sprüche, wie wir sie vielleicht früher gehört haben, wie „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens“, sind nicht wirklich hilfreich. Natürlich machen auch die Eltern einen Lernprozess durch: Sie müssen lernen, ihre Kinder wieder einen Schritt weiter loszulassen.
Einblicke: Was sind denn die wichtigsten Herausforderungen, denen Kinder beim Übergang vom Kindergarten in die Schule gegenüberstehen?
Birgit Friedl: Es ist vor allem die völlig neue Struktur. Im Kindergarten „müssen“ sie nichts. Dort werden Impulse für verschiedene Aktivitäten gesetzt, das Kind kann meist frei entscheiden was es machen möchte, und es kann viel in Bewegung sein. In der Schule ist der Tagesablauf strukturiert – daran müssen sich die Kinder erst gewöhnen.
Einblicke: Können Eltern hier unterstützend wirken?
Birgit Friedl: Auf jeden Fall! Denn auch das Familienleben erfährt durch den Schuleintritt des Kindes eine ganz neue Struktur: In der Früh muss man viel stärker darauf schauen, dass das Kind pünktlich aus dem Haus kommt. Am Nachmittag ist Zeit für Hausaufgaben einzurechnen. Das geht bis zur Urlaubsplanung, die nun auf die Ferien abgestimmt werden muss. Mit einer strukturierten Planung des Tagesablaufs kann man dem Kind vor allem anfangs sehr helfen. Das beginnt mit einem stressfreien Morgen: Gewand und Schultasche schon am Vortag herrichten, das Kind rechtzeitig wecken, auch mitbedenken, dass manche Kinder etwas länger brauchen, um aus dem Bett zu kommen. Und genug Zeit für das Frühstück einplanen, so dass das Kind entspannt in den Tag starten kann. Der Ablauf nach der Schule sollte sich nach dem Rhythmus des Kindes richten: Möchte es gleich nach dem Mittagessen Aufgabe machen oder dazwischen noch ausrasten? Durch diese Routinen bekommen die Kinder ein Gefühl der Sicherheit.
Einblicke: Welche praktischen Tipps können Sie uns geben, wie Eltern ihre Kinder gut durch den Schulstart begleiten können?
Birgit Friedl: Das Kind schon rechtzeitig gut vorbereiten und es einbeziehen. Das bedeutet, sich den Schulweg gemeinsam anzuschauen, sich gemeinsam zu überlegen, wo dann die Hausaufgaben gemacht werden (eventuell muss ein Schreibtisch angeschafft werden), den Schlafrhythmus an frühes Aufstehen anzupassen. Viele Kinder haben schon vor dem Schuleintritt Spaß daran, sich mit Zahlen oder Buchstaben zu beschäftigen, es gibt da sehr viele gute Hefte. Aber bitte nur, wenn das Interesse wirklich vom Kind selbst kommt und es nicht drängen oder überfordern! Man kann auch gemeinsam Spiele spielen, die die Aufmerksamkeit und Konzentration fördern, auch hier gibt es ganz viele tolle Brett- oder Kartenspiele. Großen Spaß haben die Kinder immer am gemeinsamen Einkauf der Schulsachen: Die Schultasche, das Federpennal und Lieblingsstifte aussuchen ist ein Erlebnis und stärkt die Vorfreude. Und der erste Schultag darf dann so richtig gefeiert werden, denn der ist schon etwas Besonderes. Man kann z.B. einen Ausflug planen oder die ganze Familie einladen.
Einblicke: Kinder haben ja in diesem Alter eine hohe innere Motivation, etwas zu lernen. Wie können Eltern dieses Interesse fördern und halten?
Birgit Friedl: Die eigenen Erwartungen an das Kind sollten auf jeden Fall an die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Kindes angepasst sein. Jedes Kind hat sein eigenes Tempo und seinen Rhythmus. Bitte nicht überfordern. Natürlich sollte man den Schulalltag und den Lernfortschritt beobachten, und wenn Schwächen sichtbar werden, dann gegensteuern. Aber man darf auch nicht jede Kleinigkeit überbewerten. Bei ersten Misserfolgen kann man sich gemeinsam anschauen, warum etwas nicht geklappt hat: Hat das Kind etwas nicht verstanden? Hatte es zu wenig Zeit? Ist es abgelenkt worden? Und man muss ihm vermitteln, dass die schlechte Note eine Momentaufnahme ist, eine Abbildung der Leistung, und absolut nichts mit der Person selbst zu tun hat. „Du bist trotzdem ein toller Mensch, auch wenn du jetzt diese Rechenaufgabe noch nicht lösen konntest.“ Es hilft auch sehr, über eigene Erfahrungen und Misserfolge zu sprechen: Wenn das Kind merkt, dass auch Mama und Papa Fehler machen und das kein Drama ist, fühlt es sich besser angenommen.
Einblicke: Und wenn wirklich Lernschwächen auftreten, die man nicht gemeinsam mit dem Kind lösen kann?
Birgit Friedl: Dann unbedingt Hilfe holen. Es gibt bei uns im Hilfswerk mit dem Lerntraining ein sehr individuelles Angebot, das gezielt und kreativ auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht. Je nachdem was gebraucht wird, werden z.B. Lernmethoden vermittelt, Konzentrationsübungen gemacht oder konkrete Stoffgebiete durchgearbeitet. Dem Kind sollte dann vermittelt werden, dass es nicht versagt hat, sondern dass es ganz normal und vernünftig ist, sich Hilfe zu holen. Das gilt ja nicht nur beim Lernen, sondern in allen Lebenslagen.
Einblicke: Abschließend noch die Frage: Selbstständigkeit und Eigenverantwortung sind ja wichtige Themen in der Schule. Was können Eltern dazu beitragen?
Birgit Friedl: Man sollte dem Kind nichts abnehmen, was es selbst schon kann. Denn es wäre schade, wenn man es dadurch in seiner Entwicklung bremst. Die Schultasche kann es sicher nach kurzer Zeit selbst packen. Bei den Hausaufgaben kann man für Fragen im Raum anwesend sein, aber sobald sich die Aufgabensituation gefestigt hat, sollte man nicht mehr am Tisch sitzen. Die Eltern sollen auf keinen Fall die Herausforderungen der Kinder lösen! Das Kind gewinnt viel mehr Selbstvertrauen, wenn es Dinge alleine schafft. Und es kann so auch lernen, dass Handlungen Konsequenzen haben. Wenn es z.B. ein Heft zuhause vergessen hat, muss es mit den Folgen umgehen und wird vielleicht das nächste Mal daran denken. Unterstützend kann man gemeinsam überlegen: „Was kannst du tun, um das in Zukunft zu verhindern?“
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