Unter dem Titel „Kontinenz fördern. Lebensqualität verbessern.“ fand am 6. Juli 2021 eine vom OÖ Hilfswerk initiierte Fachtagung zum professionellen Umgang mit Inkontinenz in Linz statt. Experten aus den Bereichen Medizin, Pflege und Betreuung, Psychologie und Physiotherapie tauschten sich einen Tag lang über Ursachen, Behandlung und neue Ansätze im Bereich Inkontinenz aus.
Viktoria Tischler, Geschäftsführerin OÖ Hilfswerk: „Der positive Titel der Veranstaltung soll zeigen, dass Inkontinenz kein hinzunehmendes Schicksal ist. Kontinenz fördernde Maßnahmen können nicht nur vorbeugend wirken, sondern auch Linderung bringen.“
Ursache und Therapie von Inkontinenz abstimmen
Dr. Franz Reichartseder, Facharzt für Urologie und Leiter des Beckenbodenzentrums der Barmherzigen Schwestern in Ried, stellte fest, dass Inkontinenz, also das ungewollte Verlieren von Harn und Stuhl, in den letzten Jahren zu einer Problematik mit zunehmender Bedeutung wurde. Heute wollen Menschen – im Gegensatz zu früheren Generationen - die Einschränkungen ihres gesellschaftlichen Lebens durch Inkontinenz nicht mehr so einfach hinnehmen und suchen vermehrt Hilfe beim Arzt., weshalb das Thema mehr in den Fokus rückt. Auch das höhere Durchschnittsalter zeigt einen deutlichen Anstieg von altersbedingten Inkontinenzfällen. Bei den über 60jährigen dürften ca. zehn Prozent an Harn-inkontinenz leiden, bei den über 80jährigen bereits ca. dreißig Prozent.
Harn und Stuhlinkontinenz kann unterschiedliche Ursachen haben, die durch genaue Untersuchungen festgestellt werden müssen. Dies ist in der Therapie von enormer Bedeutung, da sich nicht jede Therapieform für alle Arten der Inkontinenz eignet. Therapieformen wie Physiotherapie, Elektrostimulation, Lebensstil-Veränderungen, Medikamente, Hilfsmittelversorgung und auch operative Therapien müssen genau auf die Ursache der Erkrankung abgestimmt werden.
Herausforderungen in der Pflege
Gisele Schön, Pflegeexpertin und Mitglied im Vorstand der Medizinischen Kontinenz Gesellschaft Österreich gab einen Einblick in die pflegerischen Herausforderungen bei Inkontinenz. „Nichts ist wichtiger als ein einfühlsamer Umgang mit einem Leiden, das für nicht Betroffene noch immer ein großes Tabu darstellt“, erklärt die Sachbuchautorin in ihren Ausführungen.
Die Belastungen in der Betreuung inkontinenter Menschen, die mit Gefühlen wie Scham und Ekel einhergehen, sind leichter zu bewältigen, je mehr Hintergrundwissen sich die Pflegenden durch Fortbildungen aneignen. Kenntnisse über die verschiedenen Inkontinenzformen, ihre Ursachen und die Vielzahl an Therapien und speziellen pflegerischen Maßnahmen geben Sicherheit und letztlich Souveränität im pflegerischen Alltag.
Neben der exakten medizinischen Diagnosestellung und dem gezielten Einsatz von Medikamenten steht eine Reihe von begleitenden, die Kontinenz fördernden Pflegemaßnahmen zur Verfügung. Darmmanagement, Trink- und Blasentraining oder Toilettentraining sind nur einige wenige Maßnahmen, die die Pflege von Inkontinenz-PatientInnen erleichtern können. Kontinenz fördernde Pflegemaßnahmen richtig angewandt verbessern die Lebensqualität von Betroffenen und steigern Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz in der Pflege.
Der Umgang mit Scham
Mag.a Sabine Maunz, Klinische-, Gesundheits- und Arbeitspsychologin und fachliche Leiterin des Bereiches Pflege und Betreuung Hilfswerk Österreich setzte das Thema Inkontinenz durch die psychologische Betrachtung des Schamgefühls in ein anderes Licht.
Durch konkretes Wissen über das Schamgefühl und über den professionellen Umgang mit der Scham des Betroffenen bzw. oftmals auch Angehörigen, können Pflege- und Betreuungskräfte einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, den negativen Folgen von Scham entgegen zu wirken. Dazu ist es wichtig, die Schamgefühle richtig zu deuten und zu wissen, wodurch das Schamgefühl in der Pflegesituation ausgelöst wurde und die Ansatzpunkte zu finden, die zur Bewältigung der schambesetzten Sprachlosigkeit führen. Das offene, behutsame Gespräch über die erlebten Einschränkungen und Ängste infolge der Inkontinenz bilden die Basis zur Lösung der mit Inkontinenz verbundenen Schamgefühle.
Physiotherapie gegen Inkontinenz
Die Effektivität physiotherapeutischer Maßnahmen zur Behandlung von Inkontinenz erläuterte Susanne Mayrhofer, leitende Physiotherapeutin am Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation des Ordensklinikums der Elisabethinen in Linz. Die Lehrbeauftragte der FH OÖ betonte die Expertise der PhysiotherapeutInnen im Bereich der Bewegungsanalyse und -therapie. Physiotherapie wird mit Fokus auf die Kraft, Koordination und motorische Kontrolle von Blase und Darm eingesetzt. Individualisierte Trainingsprogramme für Koordination und Kontrolle der Beckenboden- und Rumpfsysteme können spezifische Belastungsfaktoren minimiert und das Auftreten von Kontinenzstörungen vermindern oder positiv beeinflussen
Einheitlicher Tenor der Fachtagung war die Bedeutung der guten Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Berufsgruppen, um das Vertrauen der Patienten in eine geeignete Therapie zu erhöhen und das Thema Inkontinenz ohne Scham anzusprechen.